Montag, 10. Juni 2013


Der Abgrund 

 

Mr. President
Mainz / Berlin (fhb) - Wenn uns vor zehn Jahren jemand erzählt hätte, dass ein junger Amerikaner 2013 auf der Flucht vor seiner eigenen Regierung China als sicheren Hafen aufsuchen würde - wir hätten das ins Reich der Science Fiction verwiesen. Jetzt sind wir leider klüger. 

Ja, Edward Snowden hat das Gesetz gebrochen. Amerikanisches Recht. Na und? Gibt es nicht höhere Werte, die ausgerechnet das "Land der Freien" nach Lage der Dinge global mit Füßen tritt? Es gibt sie: Der Schutz der Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind nur zwei davon. Sie müssen die Leitlinien sein bei der Aufklärung der Affäre. In den USA geht seit Jahren eine furchtbare Saat auf. Gesät durch Osama bin Laden, gesät aber vor allem durch die Amerikaner selbst, die bin Laden erst stark gemacht hatten. 

Unter dem Druck des Terrors verändert sich "God's Own Country" zum Allerschlechtesten. Bradley Manning, dem Mann hinter der "Wikileaks"-Affäre, wird deswegen gerade mit aller Härte der Prozess gemacht. Bei Edward Snowden, der ebenfalls gejagt werden wird bis ans Ende der Welt, liegt der Fall komplizierter. Für viele ist er ein Held, weil er den "Big Brother" NSA enttarnt hat. Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was der 29-Jährige behauptet, steht Amerika vor einem Abgrund. Und muss deswegen jetzt auf die hoffentlich klar adressierte Kritik seiner Freunde hören. 

Wird auch Snowden wie ein Schwerverbrecher behandelt und darf die NSA weiterhin schrankenlos walten, dokumentiert Barack Obama, dass ihm manche Freunde nicht mehr so wichtig sind. Und wer Freunde nicht mehr so wichtig nimmt, hat möglicherweise tatsächlich wenig Hemmungen, sie auszuspionieren wie Feinde. 

Quelle: Allg. Zeitung Mainz

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