Montag, 23. Dezember 2013

Zuwächse beim Strom-Export führen zum "Energiewende-Paradox" steigender CO2-Emissionen

so! .. diese tatsächlich paradoxe situation muss aufgelöst werden. im sinne der einst angestrebten ziele unserer energiewende. hieran werden sie künftig gemessen, herr energiemeister gabriel. 

ich gebe ihnen dazu einen kleinen tip: sie müssen sich und ihre partei und die regierung in die sie sich hineingewürgt haben, von der bislang vorrangigen vertretung der interessen der energielobbyisten trennen. schaffen sie das? wollen sie das überhaupt? wir werden sehen. weil wir sie beobachten!
[fh]


Berlin (fhb) - 

Im Jahr 2013 ist der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung erneut auf einen Rekordwert angewachsen: 24,7 Prozent des Stroms und damit jede vierte verbrauchte Kilowattstunde stammten von Wind-, Solar-, Wasser-, Biogas- und Erdwärmekraftwerken. Das ist ein Wachstum von 1,1 Prozentpunkten innerhalb eines Jahres. Haupttreiber waren Biogas- und Solarkraftwerke. Gestiegen sind auch der Export von Strom und die Stromproduktion in Kohlekraftwerken. Gas- und Kernkraftwerke haben hingegen weniger Strom geliefert als in den Vorjahren. Das ergab eine Auswertung von Daten der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen durch Agora Energiewende. "Die Erneuerbaren Energien sind weiter auf gutem Weg", sagt Patrick Graichen, designierter Direktor des von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation getragenen Denk- und Politiklabors.
"Sorge bereitet allerdings, dass die Stromzeugung durch den zunehmenden Einsatz von Kohle klimaschädlicher geworden ist. Wir stehen derzeit vor einem ,Energiewende-Paradox': Steigende Treibhausgasemissionen bei gleichzeitigem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Diese Entwicklung war nur möglich, weil der Ausstoß von Treibhausgasen kaum etwas kostet. Der europäische Markt für Emissionsrechtezertifikate muss dringend repariert werden, um das zu ändern." 

Den Daten zufolge geht der Zuwachs beim klimaschädlichen Strom vor allem auf den Export zurück. Kohlekraftwerke produzierten 8,9 Terawattstunden mehr als 2012, gleichzeitig wuchs der Export um 9,9 Terawattstunden auf 33 Terawattstunden.

Gleichzeitig zeigen die Daten, dass der innerdeutsche Stromverbrauch leicht gesunken ist: Er verminderte sich um 10,7 Terawattstunden auf 596 Terawattstunden. Der Rückgang entspricht fast genau der verminderten Produktion von Gaskraftwerken, die aufgrund von äußerst geringen Preisen an der Strombörse kaum mehr wirtschaftlich arbeiten können. Infolge des gesunkenen Inlandverbrauchs bei gestiegenem Export blieb die Stromerzeugung mit 629 Terawattstunden (2012: 629,8 Kilowattstunden) konstant. 

Der Anteil der Kernenergie nimmt entsprechend dem Fahrplan zur Energiewende weiter ab. Die deutschen Kernkraftwerke speisten 2013 rund 43 Terawattstunden weniger Strom in die Netze ein als noch 2010. Rechnerisch wurde die wegfallende Strommenge aufgrund der Abschaltung der Kernkraftwerke nach dem GAU von Fukushima durch den Zuwachs bei den Erneuerbaren Energien ausgeglichen. 

Eine umfassende Aufbereitung der Daten kann auf www.agora-energiewende.de heruntergeladen werden. 

Sonntag, 22. Dezember 2013

linksguck ...


übrigens ... ab nächstes jahr gibts "linksguck" - das (kleine) magazin von fhb-video


hier schon mal ein trailer ... zum neugierig machen : 

 

 

Sonntag, 15. Dezember 2013

Die Resignation wird zunehmen

Von Wolfgang Lieb  

Wolfgang Lieb
Das Ergebnis der Mitgliederbefragung ist so, wie es die Parteiführung der SPD erwartet und sich ausgerechnet hat. Knapp 76 Prozent der 370.000 abstimmenden Mitglieder haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt, rd. 24 Prozent haben ihn abgelehnt. Mit diesem Ergebnis können die Parteispitze und die SPD-Mitglieder im Kabinett jegliche Kritik an der Regierungspolitik in den kommenden Jahren abwehren, schließlich hat ja eine große Mehrheit der Parteimitglieder dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Die SPD wird stolz auf ihre Regierungsbeteiligung sein und sie wird – wie schon in der rot-grünen Regierung und danach in der Großen Koalition – die Politik der Kanzlerin Merkel diszipliniert mittragen.

Der Mitgliederentscheid ist kein Aufbruch zu mehr Demokratie, sondern er wird vor allem in der Arbeitnehmerschaft die politischen Ohnmachtsgefühle noch steigern und zu noch mehr Resignation führen.

Wir haben auf den NachDenkSeiten mehrfach dargestellt, dass die Art dieser „Mitgliederbeteiligung“ vor allem ein taktisches Manöver der Parteiführung war, eine Analyse des zweitschlechtesten Wahlergebnisses und ggf. eine daraus abzuleitende personelle Erneuerung der Parteispitze und damit des politischen Kurses zu verhindern. 


Unter dem Motto Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“, das für viele SPD-Mitglieder einen hohen Sympathiewert besitzt, haben die Parteiführung und die (über den Parteikonvent eingebundenen) Parteifunktionäre mit Unterstützung der allermeisten Medien geradezu eine Kampagne für eine Zustimmung zur Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD organisiert. 

Es ist durchaus legitim, dass diejenigen, die einen Vertrag ausgehandelt haben, für das erzielte Verhandlungsergebnis werben, aber zu „Demokratie wagen“ hätte ein faire Information über Pro und Kontra und eine offene Debatte gehört. Sämtliche „Mitgliederbriefe“ oder auch die Durchführung der Regionalkonferenzen waren jedoch darauf angelegt, um eine Zustimmung zu werben. Die gesamte Parteiführung – und zwar nicht nur an der Spitze, sondern auch auf allen Funktionärsebenen – hat die Mitglieder nicht zu einer Abstimmung über die Inhalte des Koalitionsvertrages aufgerufen, sondern sie hat in guter alter Schröder-Manier die Mitglieder sozusagen vor eine „Vertrauensfrage“ gestellt. 

Die Kritiker einer Großen Koalition oder an den Inhalten der Koalitionsvereinbarungen kamen in der innerparteilichen Kommunikationsstruktur kaum zu Wort und auf den Konferenzen vor Ort wurden kontroverse Debatten „von unten“ schon durch die Vorgabe des Verfahrens geradezu systematisch verhindert. So durften z.B. keine Diskussionsbeiträge abgegeben, sondern nur Fragen gestellt werden, die Wortmeldungen der Anwesenden wurden auf zwei oder drei Minuten begrenzt, während die Parteiführung oder Mitglieder der Verhandlungsdelegationen beliebig lange ihre Positionen darstellen und verteidigen konnten.
Teilweise mussten die Wortmeldungen inhaltlich vorher benannt werden und so konnten die Verhandlungsleitungen die Reihenfolge der Redner oder auch die anzusprechenden Themen beliebig bestimmen. So konnte die Debatte im Wesentlichen auf die angeblichen sozialdemokratischen Erfolge bei den Koalitionsverhandlungen, also den Mindestlohn, die abschlagsfreie Rente mit 63 oder die Mietpreisbremse eingeschränkt werden. Der Koalitionsvertrag insgesamt oder die anderen im SPD-„Regierungsprogramm“ auf einem Parteitag beschlossenen Ziele konnten gar nicht erst angesprochen oder kritisiert werden.


Und schon gar nicht konnte die Frage diskutiert werden, warum die SPD bei der letzten Wahl so schlecht abgeschnitten hat.

Die Parteiführung und die führenden regionalen Funktionäre und Mandatsträger haben die Parteimitglieder eher erpresst, als dass sie eine freie Entscheidung zugelassen hätten. Hinter den meisten Einlassungen des Führungspersonals stand mehr oder weniger offen ausgesprochen die Drohung: Wehe ihr stimmt nicht zu, dann desavouiert ihr eure gesamte Führungsmannschaft, dann stürzt die Partei in ein Chaos und die Sozialdemokratie verliert jegliches Ansehen und jeden Einfluss. 

Mitentscheidend für den Ausgang des Mitgliedervotums war auch, die Empfehlung nahezu aller Gewerkschaftsführungen dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Ich habe nach der Entscheidung der SPD, einen Mitgliederentscheid durchzuführen, auch mit vielen Gewerkschaftern und mit Vertrauensleuten in Betrieben gesprochen. Da gab es durchweg eine gehörige Skepsis nicht nur gegen eine Große Koalition als solche sondern auch gegenüber dem Koalitionsvertrag. Dennoch wollten die allermeisten meiner Gesprächspartner, die gleichzeitig SPD-Mitglieder waren, für die Vereinbarungen stimmen.

Die Verankerung des Mindestlohns hat für die aktiven Gewerkschafter eine hohe symbolische Bedeutung. Man hätte nun schließlich seit nahezu 10 Jahren dafür „gekämpft“, war der Tenor. Die schlichte Rückfrage, dass 8,50 Euro vor 10 Jahren heute und schon gar im Jahre 2015 schon längst nicht mehr die gleiche Kaufkraft ausmachten, wurde mit dem resignativen Eingeständnis hingenommen, dass die Gewerkschaften ohne die Politik, selbst diesen durch die Geldentwertung abgeschmolzenen Betrag eben nie hätte durchsetzen können. Ähnlich pessimistisch waren auch die Einschätzungen, dass die Gewerkschaften ohne die Politik gegen die ausufernde Leiharbeit ankämpfen könnten. Selbst die völlig unzureichende Regelung im Koalitionsvertrag mit einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten galt für die Gewerkschafter als ein hinnehmbarer Anfang. An eine Rückkehr zu einer armutsfesten gesetzlichen Rente oder ein Aussetzen der Rente mit 67 glaubten meine Gesprächspartner – obwohl sie das Thema Rente beängstigt – alle nicht mehr. Insoweit war für sie auch das Minimalergebnis einer abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren ein kleiner Lichtblick.

(Die Gewerkschaftsfunktionäre mussten dabei natürlich einräumen, dass sie dabei vor allem von den gewerkschaftlich noch einigermaßen gut organisierten Stammbelegschaften gedrängt werden. Denn gerade diese Gruppe der Arbeitnehmer dürfte von dieser Regelung profitieren.)
Mit einem gewissen Erschrecken wurde mir bei diesen Gesprächen deutlich unter welchem Druck Arbeitnehmer in den Betrieben von Seiten der Arbeitgeber stehen. Die Drohung des Verlustes von Arbeitsplätzen und die permanente Erfahrung der Ohnmacht gegenüber den Betriebsführungen hat Mut und Kampfbereitschaft erlahmen lassen. Streiks für Mindestlöhne oder für die Einschränkung der Leiharbeit oder gar ein politischer Streik für eine bessere gesetzliche Altersvorsorge erscheinen als von vorneherein nicht mehr organisierbar und darüber hinaus zum Scheitern verurteilt. Auch in der Linkspartei wird keine politische Kraft gesehen, die auf absehbare Zeit die nötige politische Begleitung zur Durchsetzung von solchen Forderung bieten könnte. 

Aus meinen Gesprächen habe ich mitgenommen, dass meine Kritik am Koalitionsvertrag in der Sache durchaus geteilt wurde und dass man im Grundsatz natürlich für eine viel weitergehende Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen und –rechten ist, dass sich aber die Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften als viel zu schwach einschätzen, hier alleine Durchbrüche erzielen zu können. Deshalb setzen sie ihre letzte Hoffnung auf die Politik und lassen sich von den angeblichen „Erfolgen“ der SPD bei den Koalitionsverhandlungen beeindrucken. Der Koalitionsvertrag gilt angesichts der aussichtslos eingeschätzten Kräfteverhältnisse als der letzte Strohhalm.

Diese resignative Haltung der Gewerkschafter an der Basis entspricht wohl der allgemeinen Stimmungslage innerhalb der Arbeitnehmerschaft. Es ist geradezu tragisch, dass sie auf die Politik keine größeren Hoffnungen mehr setzen, als das was in den Koalitionsvereinbarungen erreicht worden ist. Und mit der nun kommenden Großen Koalition werden vermutlich selbst diese Hoffnungsschimmer noch dunkler werden. 

Quelle: NachDenkseiten 

Freitag, 13. Dezember 2013

Halt !

Ein Kommenrar zum Artikel der NZZ – verlinkt von Philipp Brandenstein in seiner fb-chronik am 13.12.2013 ... der Autor des Artikel setzt sich (u.a.a) mit dem "Aufruf der 560" auseinander ..(http://www.nzz.ch/meinung/debatte/das-informationsparadigma-verstehen-1.18203716)

Halt!

Frank Happel
Ganz einfach und schlicht zu Beginn: Es gibt kein „Informationsparadigma“ wie in dem Artikel vorausgesetzt!

Unsere sich tatsächlich verändernden Gesellschaften in einem sich galoppierend gebärdenden Informationszeitalter sind noch lange keiner paradigmatischen Betrachtung und Beurteilung insoweit unterworfen, dass wir hier mit wissenschaftlichen, also zu akzeptierenden Resultaten konfrontiert sind. Diese Behauptung, diese Unterstellung entspringt einem Ohnmachtsgedanken. Diese Behauptung dient aber auch denen die das gerne so hätten. Entsprechend brauchen wir auch keinen Paradigmenwechsel. Wir brauchen das Erkennen der Situation. Dazu brauchen wir zuallererst einmal alle notwendigen Informationen. Sollte uns daran gelegen sein (und das sollte es!), Menschenwürde und Bürgerrecht vor den Interessen derer zu schützen, die nur eines im Sinne haben: Missbrauch! – dann haben wir immer noch eine große Chance, die aber auch die Einzige ist: Politik!.. Wir brauchen Politiker, denen ihr Auftrag, ihre einzige Berechtigung dort zu sein, wo sie sind, sich um das Gemeinwohl einer Gesellschaft und ihrer dort versammelten Menschen verantwortlich zu kümmern. Mit solchen Politikern, als unseren Vertretern könnten wir es schaffen ein, zu einem späteren Zeitpunkt definierbares Paradigma, festzustellen, dass das Zeitalter der Informationsgesellschaften zum Nutzen aller Menschen agiert.

Jaja .. schon klar .. solange „WIR“ Politik als das verstehen, was uns als solche im machbaren, richtigen Sinne immer und ausschließlich von denen erklärt wird, die Politik „machen“, mit denen ihr fürstliches Sein betreiben, die wiederum keine gerechte Gesellschaft auch nur ansatzweise, im Sinne tragen ... so lange wird das nix. Wird das nix mehr mit unseren Bürgerrechten, mit unserer Demokratie. Mit einer humanistischen Welt. Das Paradigma dieser Zukunft wäre die Erkenntnis der Dummheit von uns allen.

Montag, 9. Dezember 2013

Steuerfrei, rechtsfrei, straffrei

Berlin (fhb) - 

Milliarden-Gewinne multinationaler Unternehmen auf Kosten von Menschenrechten

 

Anlässlich des internationalen Tages der Menschenrechte (10.12.) stellt heute die NRO-Kampagne FACING FINANCE ihren Bericht DIRTY PROFITS 2 in Berlin vor. Dieser belegt: Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Ausbeutung und Umweltzerstörung gehören immer noch zum Geschäftsmodell global agierender Unternehmen. Der 124 Seiten starke Bericht zeigt die gravierendsten Verstöße multinationaler Unternehmen gegen internationale Normen und Standards, wobei insgesamt 26 kontroverse Unternehmen (u.a. SHELL, GAZPROM, GLENCORE, Nestlé und ADIDAS) analysiert werden. Sie setzten im Jahr 2012 mehr als 1,24 Billionen Euro um und erzielten dabei einen Nettogewinn in Höhe von über 90 Mrd. Euro. 

"Ein nicht geringer Teil der Profite multinationaler Unternehmen wird offensichtlich nach wie vor auf schmutzige Art und Weise und immer noch zu Lasten von Mensch und Umwelt verdient", beklagt Thomas Küchenmeister, Koordinator und Initiator der Kampagne Facing Finance. "Dass dies bisweilen nahezu steuerfrei geschieht, ist so unsozial wie leider legal," kritisiert Küchenmeister und sieht dies als Beleg für die Unzulänglichkeit des internationalen Steuerrechts. Laut EU-Kommission geht allein in der EU dem Fiskus jährlich etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren. 

Auf Basis einer Finanzrecherche des Instituts Profundo analysiert der DIRTY PROFITS-Bericht zudem, wie europäische Finanzinstitute die Geschäfte dieser Unternehmen finanziell unterstützen. Um geplante Projekte realisieren zu können, sind auch Großunternehmen wie Gazprom, Shell, Nestlé oder GlencoreXstrata auf die finanzielle Rückendeckung durch Finanzinstitute angewiesen. Knapp 33 Mrd. EURO stellten die untersuchten 19 europäischen Finanzhäuser im Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2013 den 26 Unternehmen zur Verfügung. 

Die Geldgeber tragen über die Vergabe von Unternehmenskrediten oder die Ausgabe von Anleihen eine Mitverantwortung an entstehenden ökologischen und sozialen Schäden, die die Aktivitäten ihrer Kunden hervorrufen. BNP Paribas, Deutsche Bank und Credit Suisse vergaben am meisten Geld für die kontroversen Unternehmen; sie unterhalten zu fast allen untersuchten Unternehmen Geschäftsbeziehungen und scheuen sich auch nicht, Unternehmen zu unterstützen, die andere Finanzdienstleister längst ausschließen: bei international anerkannten Investoren (wie z.B. die Europäische Investitionsbank oder der norwegische Pensionsfonds) stehen 17 der analysierten 26 Unternehmen aktuell wegen Umwelt- oder Sozialverstößen auf dem Index. 

"Mit ihren unkritischen Finanzspritzen für Umweltsünder und Menschenrechtsverletzer wie Gazprom oder Glencore unterstützen Finanzinstitute Rohstoffplünderungen, Menschenrechtsverletzungen und Klimaerwärmung", sagt Barbara Happe von der Menschrechts- und Umweltorganisation urgewald. Der Bericht belege, dass die von den Finanzinstituten verabschiedeten Selbstverpflichtungen bei weitem nicht ausreichen, um wirksam vor ökologischen und sozialen Fehlinvestitionen zu schützen. 

Für internationale Aufmerksamkeit sorgt aktuell der russische Energieriese Gazprom, der seit längerem mit wettbewerbswidrigen Praktiken und Korruption in Verbindung gebracht wird. So wurden Aktivisten von Greenpeace in einer spektakulären Aktion im Spätsommer von der russischen Küstenwache festgenommen, als sie friedlich vor der Ölplattform Prirazlomnaya gegen riskante Ölbohrungen in der Arktis protestierten. Sie blieben mehr als 2 Monate in Haft, bevor sie gegen Kautionszahlungen vorerst auf freien Fuß gesetzt wurden. Die Anklage, die auf Rowdytum lautet, gilt weiterhin. 3,4 Mrd. EUR stellten europäische Banken, allen voran BNP Paribas, ING, Unicredit, Deutsche Bank und Commerzbank, dem Konzern im Untersuchungszeitraum zur Verfügung. 

Der Bericht fordert Finanzdienstleister auf, Regeln für ihre Finanzierungen anzuwenden, die umfassend Menschenrechts- und Umweltstandards durchsetzen und dementsprechend mehr Einfluss auf Unternehmen zu nehmen.
Zudem müsse der Gesetzgeber umgehend Maßnahmen ergreifen, um Finanzierungen kontroverser Sektoren wie z.B. Atomwaffen und Streumunition zu beenden. Auch sollten steuerliche Begünstigungen, wie für Riesteraktiensparverträge, auf Finanzprodukte beschränkt bleiben, die Nachhaltigkeitsstandards einhalten. Die Zertifizierung solcher "Riesterprodukte" müsste unbedingt durch einen Ethikrat überwacht werden, fordern die NRO und rufen auch Bankkunden dazu auf, die Geschäftsmethoden ihrer Bank kritisch zu hinterfragen und ggf. den Finanzdienstleister zu wechseln.

Donnerstag, 28. November 2013

Sie werden NEIN sagen



Viel Eigenes wollte ich zum Thema vor dem Votum der SPD-Mitglieder eigentlich nicht ablassen. Das war wohl einer gewissen Unsicherheit geschuldet. Was werden die Mitglieder entscheiden? Schafft es die Parteiführung die Basis „mitzunehmen“? Werden wir von 470.000 Bürgern in 4 Jahre Agonie geschoben? Wählt die SPD-Basis im Nachhinein Angela Merkel mit unfassbarer Mehrheit wieder zur Kanzlerin? Wollen diese Auserwählten ein Land, in dem der gesellschaftliche Reichtum weiterhin den Reichen zufällt und den Armen die Abfälle? Ist es für die „Entscheider“ tragbar, einen Koalitionsvertrag zu akzeptieren, der ausdrücklich den Verfassungsbruch der informationellen Selbstbestimmung weiter verschärft? Einer Regierung gestattet, sich auf Kosten unserer garantierten Bürgerrechte ihren „Verbündeten“ unterwirft und ihnen zu gesteht, uns beliebig Informationen, Daten, Intimsphäre zu rauben? Gleichzeitig nichts dagegen unternimmt, dass Wirtschaftsspionage in nicht erahnbaren Größenordnungen, mit entsprechenden Schäden betrieben wird? Dass versprochene Hartz4-Korrekturen völlig von der Bildfläche verschwunden sind? Ein flächendeckender Mindestlohn modifizierbar bleibt und nebenbei um Jahre verschoben wird? Dass Rentensicherheit nach wie vor ausgerechnet den Kapitalmärkten überlassen bleiben soll? Dass Altersarmut für Millionen Menschen Gewissheit wird? Dass Gesundheit und Pflege weiter ein Klassenproblem ist? Dass dummes Zeug wie eine Pkw-Maut auf uns zu kommen soll? Dass das sogenannte Betreuungsgeld eben nicht zurückgenommen wird, wie versprochen (Steinbrück)? Dass die Bundeswehr weiterhin und ungestört zu einer Interventionsarmee umgebaut wird? Energiewende im Rückzug, doppelte Staatsbürgerschaft adé ...

Das alles und noch mehr kann ja aber wohl nicht sein. Ich bin mir sicher, dass die große Mehrheit der SPD-Basis all das nicht will. Und das Schöne ist: Sie kann es verhindern. Zumindest die Beteiligung der eigenen Partei an einer solchen absolut den Grundsätzen einer sozialdemokratischen Gesinnung diametral entgegenstehenden Politik. Die Deutlichkeit dieser falschen Politik, verbunden mit der Anmaßung der SPD-Führung hier für das Land zu handeln und nicht für sich selbst, ist einfach zu offensichtlich. Die SPD-Mitglieder durchschauen das längstens und werden sich nicht kirre machen lassen, egal von welchen Drohkulissenschiebern. 

Sie werden mit NEIN! votieren. Und das ist gut so.

Ich bin mir da ganz sicher!

Donnerstag, 21. November 2013

Keine Kriegsschiffe der EU-Mitgliedstaaten gegen Flüchtlinge vor Lampedusa!

Andrej Hunko
 „Der Einsatz von Marine und Luftwaffe zur Migrationsbekämpfung wäre eine unfassbare Militarisierung der EU-Flüchtlingspolitik. Die Bundesregierung muss sofort dafür sorgen, dass dieser Vorschlag niemals in die Tat umgesetzt wird“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko eine entsprechende Mitteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 19. November.
Laut dem EAD sollen EU-Militärs und ein NATO-Flottenverband die Arbeit der EU-Grenzpolizei FRONTEX im Mittelmeer unterstützen. Kooperiert werden solle auch mit Italien, das unter dem Namen „Mare Nostrum“ Kriegsschiffe, Militärflugzeuge und Drohnen einsetzt um Migranten vor Libyen aufzuspüren. Italien könnte die EU-Operation demnach sogar leiten, ein Hauptquartier hierfür in Rom eingerichtet werden.

Andrej Hunko weiter:

„Die weitere Aufrüstung der Grenzüberwachung wird zu noch riskanteren Überfahrten und noch mehr Toten führen. Dies wird vom EAD sogar bestätigt. Die menschenverachtende und vielfach kritisierte Politik der EU-Grenzpolizei FRONTEX wird weiter gestärkt. 

Am 2. Dezember wird die EU überdies das neue Grenzüberwachungssystem EUROSUR in Betrieb nehmen. Bilder und Daten grenzpolizeilicher und militärischer Aufklärung werden in Echtzeit an das FRONTEX-Hauptquartier in Warschau übermittelt. 

Mit der EU-Operation sollen auch die Länder des Arabischen Frühlings zur Militarisierung ihrer Migrationspolitik gedrängt werden: Ausdrücklich fordert der EAD dazu auf, Tunesien, Ägypten und Libyen eine Teilnahme zu ermöglichen. Weil die Länder über nicht genügend grenzpolizeiliche Überwachung verfügen, könnten sie stattdessen militärische Kapazitäten beisteuern.
Unmissverständlich benennt der EAD das wahre Ziel des EU-Militäreinsatzes: So würde Druck in Verhandlungen zu ‚Rückübernahmeabkommen’ mit Marokko und der Türkei ausgeübt, unerwünschte Migrant/innen dadurch bequem in die Länder abgeschoben werden können. Die türkische Regierung könnte laut dem EAD bei einer Teilnahme sogar im Bezug auf die EU-Beitrittsverhandlungen punkten. 

Kriegsschiffe gegen Flüchtlinge sind menschenverachtend und gehen am Kern des Problems komplett vorbei. Das hierüber ausgesendete Signal ist fatal und widerspricht einer solidarischen Nachbarschaftspolitik komplett.
Die Linksfraktion fordert den Rückbau und die Abschaffung der Grenzpolizei FRONTEX. Auch das Grenzüberwachungssystem EUROSUR darf niemals in Betrieb gehen.“

Dienstag, 12. November 2013

Ruhe in Frieden, SPD

Von Jörg Wellbrock alias Tom W. Wolf


Liebe SPD,

Jörg Wellbrock
es geht Dir nicht gut. Du siehst ausgemerkelt aus, wirkst kraftlos und hast irgendwie nichts mehr zu sagen. Nur Mitleid kann ich dafür nicht empfinden, nicht die Spur davon. Es gibt Menschen, die geraten ohne Schuld in missliche Situationen. Diese Menschen haben mein Mitgefühl. Aber was Du machst, liebe SPD, kann ich nur als die bewusste Zerstörung Deiner ehemals starken Charakterzüge bezeichnen. Du bist eine Schande, leider lässt es sich nicht anders ausdrücken.

Ich weiß gar nicht mehr so genau, wann Dein Weg nach unten begann, weg von der Sozialdemokratie, hin zu immer mehr Neoliberalismus und sozialer Kälte. Ganz sicher hatte Gerhard Schröder großen Anteil daran, dass Du seit Jahren in den letzten Zügen liegst. Jetzt, da Du Dich auf die neue Große Koalition vorbereitest, hast Du Dein Leben im Grunde längst verwirkt. Vielleicht auch deshalb fällt es der CDU so leicht, Dich in jede beliebigen Richtung zu drängen. Du wirkst wie eine leblose Hülle, die im Meer treibt – ohne jegliche Kontrolle über das eigene Handeln, ohne Widerstandskraft, ohne den Willen, etwas zu verändern. So kann man als Partei keine Politik machen, so kann man sie nur machen lassen. 

Liebe SPD, Du hättest – selbst mit diesem desaströsen Wahlergebnis bei der Bundestagswahl – in Deutschland etwas verändern können. Nicht das große Ganze, aber kleine Dinge. Dafür hättest Du allerdings in die Opposition gehen müssen. Dafür hättest Du Dich mit Forderungen der Linkspartei auseinandersetzen müssen, die Dir – hättest Du es getan – vermutlich zu weiten Teilen ziemlich bekannt vorgekommen wären. Du hättest auf Posten verzichten müssen. Aber Du hast es nicht getan. Weil sie – diese Posten – für Dich das große Ganze sind. Es geht Dir nicht um die Menschen, um politische Forderungen, darum, dass es besser wird in diesem Land. Es geht Dir um Dich, um Deine Karrieren, um Geld und Macht. Du liegst so falsch damit!
Ein paar Köpfe von Dir werden sich einbilden, dass durch die Große Koalition etwas gewonnen wäre. Ein paar Köpfe von Dir werden durch sie tatsächlich etwas gewinnen. Aber Du als Partei, als eine Partei mit Geschichte, wirst verlieren. Du wirst immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit abtauchen, reglos und träge in der Masse der Christdemokraten treiben, und Du wirst auch noch die letzten Prinzipien verraten, die übrig geblieben sind.

Da ist noch eine kleine Hoffnung, die Deiner Basis gilt, liebe SPD. Sie kann die Große Koalition und damit das vielleicht grauenvollste Debakel Deiner Geschichte verhindern. Vielleicht tut sie es. Hoffentlich tut sie es. Ich fürchte allerdings, Du wirst Mittel und Wege finden, das zu verhindern.
Und dann war’s das mit Dir wohl endgültig. 


Desillusionierte Grüße,
Jörg Wellbrock 


Quelle: Spiegelfechter

Montag, 4. November 2013

Und plötzlich sinds die Russen schuld


Frank Happel

... und plötzlich sinds die Russen schuld. Aus allen Ecken und vor allem in (fast) allen Medien ists zu vernehmen: hinter den Snowden-Veröffentlichungen steckt der russische Geheimdienst - steckt Putin. Höchstpersönlich! 

Das ist sehr hilfreich. Für die Amis, aber auch für unsere "Verantwortlichen". Das hilft so schön die Tatsachen wegzurelativieren, das lenkt so schön ab. Davon, dass es nicht wir (Regierung, Dienste) seien, die mittels systematischer Grundgesetzverletzungen entweder dabei sind, oder es wissend zulassen, unsere Demokratie auszuhöhlen – ad absurdum zu führen. Der Spionageskandal ist also Inszenierung mit Ablaufplan von Putin höchstpersönlich in Szene gesetzt. Klasse! So gehts! So macht man Gegenmeinung. So versteckt man sich hinter Nebelkerzen und versucht wegzutauchen. Das brave Publikum nickt brav. Das brave Publikum gewinnt Erkenntnis. Derart wie es gewohnt ist. Derart wie es ihm gefällt. So(!) sehen nämlich die Dinge aus. So(!) war es schon immer. Es sollen ja schon 75 % der Deutschen der Meinung sein, dass der NSA-Skandal ein weit überzogenes Ding sei. Bravo! So gehts! So werden sie es wieder zurechtbiegen. Vielleicht. Wenns auch diesmal wieder klappt.

Es wird also versucht über eine behauptete Zuweisung Stimmung zu machen und vor allem: die ungeheuerlichen Inhalte, die Tatsachen der Skandale aus unserem Blick zu nehmen. Dass Putin durchaus gewillt ist, aus der Situation Vorteile zu ziehen, davon darf man getrost ausgehen. Er wäre blöd, täte er es nicht. Uns aber einimpfen zu wollen, dass es dem zum Nutzen sei, wäre unser Schaden, ist ein blöder Schmarrn. 

Wie und wer in dieser „Sache“ inszeniert, wer Fäden zieht und Abläufe bestimmt, erklärt Hans Leyendecker in seinem aktuellen SZ-Artikel (siehe Link unten). Lassen wir uns gefälligst nicht weiterhin für blöd verkaufen!

Hier gehts zum Artikel von Hans Leyendecker in der Süddeutschen 
... bitte lesen !

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Weniger Arbeitslose, mehr Altersarmut – wie kommt’s?

Von Jörg Wellbrock alias Tom W. Wolf
 
Fast zeitgleich gingen durch die Medien zwei Meldungen: Die Arbeitslosenzahl sei so niedrig wie schon seit einem Jahr nicht mehr. Und die Altersarmut nehme stetig zu. Wäre es nicht naheliegend, einen Zusammenhang herzustellen?

Tom W. Wolf
So gut wie auf den ersten Blick ist die Nachricht gar nicht. Zwar waren im Oktober 2013 rund 48.000 Menschen weniger arbeitslos als im September. Aber auch 48.000 mehr als im Oktober 2012. Die offizielle Zahl lautet 2,801 Millionen Arbeitslose. Nimmt man noch die jahreszeitlich bedingten Schwankungen heraus, stieg die Zahl der Arbeitslosen sogar um 2.000 im Vergleich zum Vormonat.

Doch das ist sowieso nur Augenwischerei, denn die Definition des Begriffes „Arbeitsplatz“ wurde in Zeiten von Minijobs und prekärer Beschäftigung neu interpretiert. Arbeit, das ist ist ein Kampfbegriff der Politik geworden, der mit den Verhältnissen auf dem Markt nichts mehr zu tun hat. Die politischen Lager – so es sie in unterschiedlicher Ausprägung überhaupt noch gibt – streiten sich über Zahlen, aber nicht über Inhalte. Die Tatsache, dass es in Deutschland heute ein paar tausend weniger Arbeitslose gibt als im letzten Monat, ist nichts als ein helles, blendendes Licht, das uns den Blick auf die Wirklichkeit raubt. Die Debatte um den Mindestlohn zeigt das ebenso wie die Lage der Rentner in Deutschland. Selbst mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro wären Arbeitnehmer kaum in der Lage, ausreichend Mittel für ihr Rentenalter zu generieren. Wenn man dies bedenkt, ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass Arbeitgeber und ihnen zuarbeitende Ökonomen einen geringeren Mindestlohn als „Test“ fordern.



Panikmache mit dem Mindestlohn

 

Der „Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK)“ in Gestalt von Volkswirt Alexander Schumann macht deutlich, wie herablassend das Wort Arbeit inzwischen verwendet wird, ohne seinen eigentlichen Sinn zu berücksichtigen. Schumann rechnet im kommenden Jahr mit 250.000 neuen Jobs. Er begründet das mit der „guten Konjunktur“. Gleichzeitig warnt er vor einem Mindestlohn, und sei er nur 8,50 Euro hoch. Er spricht von einem „Unsicherheitsfaktor für Unternehmen“ und mahnt: „Kommt er, kann das die positive Entwicklung abwürgen.“

Der Zynismus dahinter müsste zur Folge haben, Schumann so schnell wie möglich vom Hof zu jagen, denn wenn er von einer positiven Entwicklung spricht, dann können damit de facto nur Jobs gemeint sein, die Arbeitnehmern weniger als 8,50 Euro die Stunde einbringen. Die Frage, für wen sich also die Entwicklung positiv gestaltet, ist rhetorisch.


Nach außen hin sind sich alle einig. Man muss von seiner Arbeit leben können. Tatsächlich ist die Politik aber darauf gar nicht ausgerichtet, und die Unternehmen sind es sowieso nicht. Die Zahl der Aufstocker nimmt weiter zu, viele Menschen müssen zwei, manchmal sogar drei Jobs machen, um sich über Wasser zu halten, und selbst dann reicht es nicht immer. Nirgends ist zu erkennen, dass Lösungsansätze gesucht werden, die die Fehlentwicklung des Arbeitsmarktes auch nur ansatzweise korrigieren könnten. Auch die Verhandlungen im Ringen um Posten zwischen der SPD und der CDU sind nichts anderes als ein Verwalten der derzeitigen Katastrophe, ohne sie anzugehen. Die SPD hat sich schon vor der Wahl zur Agenda 2010 bekannt, die maßgeblich für die derzeitige Misere verantwortlich ist. Die CDU hat die letzten Jahre umgesetzt, was sich Gerhard Schröder einst ausgedacht hat. Niemand derer, die da an den Verhandlungstischen sitzen, ist tatsächlich daran interessiert, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Ihnen geht es um sich selbst. Und um geschönte Arbeitslosenzahlen, hinter denen die Armut versteckt wird. Die Armut der heute arbeitenden Bevölkerung. Und die derer, die heute schon in Rente sind. Sie, die heutigen Rentner, sind der Beleg dafür, wohin die Entwicklung der letzten Jahre führt.


Immer mehr arme Rentner

 

Ein Blick an die Elbe – nach Hamburg, wo so viele Millionäre leben – macht deutlich, wohin die Reise geht. André Hatting, der Chef des Hamburger Landesverbandes im Sozialverband Deutschland, beobachtet schon seit 2005, dass die Zahl der Rentner, die zusätzliche Grundsicherung brauchen, kontinuierlich steigt. Zu einem vorerst traurigen Rekord kam es im Jahr 2012. Um 6,6 Prozent stieg der Anteil der Rentner, die auf zusätzliche Leistungen vom Staat angewiesen sind. Für Hatting sind die Gründe klar. Die meisten Menschen sind schon seit längerem nicht mehr in der Lage, während der Erwerbstätigkeit ausreichen finanzielle Mittel für das Alter anzusparen. Hinzu kommen Erwerbsminderungsrenten, Alleinstehende und Frauen, die besonders von Altersarmut betroffen sind. Hatting spricht sich für einen Mindestlohn und eines Mindestrente aus.

Doch der Trend geht weiter in Richtung Armut, und es ist viel schlimmer als es zunächst scheint, denn in keiner Statistik tauchen all jene Rentner auf, die zu stolz sind, um staatliche Hilfe zu beantragen oder die sich schlicht nicht trauen oder sich schämen. Die Dunkelziffer der Menschen im Alter, die arm sind und von der Hand im Mund leben müssen, dürfte also deutlich höher sein als die ohnehin schon erschreckenden Werte, die Hatting nennt. Er siedelt die Armutsgefährdungsquote in Deutschland zwischen 15,5 und 16 Prozent an. Bei den Rentnern über 65 Jahre liegt sie mit 14 Prozent knapp unter dem Bevölkerungsschnitt. Sieht man sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt an, muss man kein Prophet sein, um zu erahnen, wohin sich die Quote in Zukunft entwickeln wird. Für die alten Menschen bedeutet das, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, sich auf das Nötigste zu beschränken und Hilfe anzunehmen, wo sie sie erhalten. Doch die ist übersichtlich, und Hamburg zeigt auch hier, was für ein schlechtes Vorbild die Stadt ist. 


„Kalte Küche“ in Hamburg-Dulsberg

 

Die Sozialküche „Pottkieker im Hamburger Stadtteil Dulsberg hilft Rentnern, die in finanzieller Not sind. Mehr als 100 von ihnen nehmen das Hilfeangebot, einmal am Tag dort Mittag zu essen, gern an, nicht nur, weil sie wenig Geld haben, sondern auch, weil sie im „Pottkieker“ soziale Kontakte pflegen, andere Menschen treffen, sich austauschen und reden können. Wer im Alter kein Geld hat, steckt nicht nur finanziell in der Sackgasse. Oft vereinsamen arme Menschen auch. Deshalb ist der „Pottkieker“ zweifach wichtig. Doch die Stadt Hamburg setzt ihre Prioritäten offenbar woanders. Sie will den „Pottkieker“ schließen, weil es für die Weiterführung angeblich an Geld fehlt.
Der Wert von Arbeit? Oder der einer Lebensleistung? Beides sind nur hohle Phrasen, die im Wahlkampf oder beim politischen Kräftemessen verwendet werden, um sich als Partei oder Politiker gut zu positionieren. Der „Pottkieker“ zeigt exemplarisch auf, wohin wir uns entwickeln – in ein Land, das immer mehr arme Menschen hat und haben wird.


Hilfe? Die ist eher nicht zu erwarten.


Quelle: spiegelfechter

Dienstag, 29. Oktober 2013

Sahra Wagenknecht: Verhältnis zu den USA neu ordnen

Berlin (fhb) - 

Sahra Wagenknecht
"Deutschland muss das Verhältnis zu den USA neu ordnen. Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA muss beerdigt werden", erklärt Sahra Wagenknecht zur Abschöpfung von Telefonaten der Bundeskanzlerin durch die US-Sicherheitsbehörde NSA sowie zur Debatte um das transatlantische Verhältnis. 

Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter: 

"Das Handy-Gate ist keine Privatsache der Bundeskanzlerin. Es geht vorrangig um die Interessen von Millionen Bundesbürgern. Eine Kanzlerin, die beim Datenschutz auf EU-Ebene bremst, verletzt ihren Amtseid. Noch wichtiger als das, was US-Präsident Barack Obama über die Abhöraktion wusste, ist zudem, was der Bundesnachrichtendienst (BND) und die Bundekanzlerin wussten. Dies wird für DIE LINKE im Mittelpunkt des Interesses eines NSA-Untersuchungsausschusses stehen. 

Das Problem mit den USA löst man weder per SMS noch durch Telefonate mit Obama. DIE LINKE fordert die Neuordnung des Verhältnisses zu den USA. Die relevanten Abkommen zum Datenaustausch mit den USA müssen gekündigt und die geheimdienstliche Zusammenarbeit gestoppt werden. Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen müssen beendet werden: Es nutzt den großen Banken und Konzernen, treibt die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Verbreitung der Gentechnik voran. 

Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist ein Angriff auf Arbeitsnormen und ökologische Standards. DIE LINKE erwartet darüber hinaus nach Rechtslage strafrechtliche Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die für die Spionage Verantwortlichen."

Montag, 28. Oktober 2013

Die verrohte Bürgerlichkeit - Der Ökonom als Menschenfeind

Verantwortlich:

Quelle: NachDenkseiten  

Über gesellschaftliche Verrohung und die etablierte ökonomische Theorie
Ein Interview mit dem Volkswirt und Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme über Fragen nach der Entsolidarisierung der Gesellschaft etwa durch die Hartz-Reformen, nach dem Menschenbild hinter den vorherrschenden ökonomischen Lehren, nach der Ökonomisierung der Gesellschaft und der ethischen Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das Interview für die NachDenkSeiten führte Jens Wernicke.



Herr Thieme, Sie arbeiten seit Längerem über das Thema der sogenannten „rohen Bürgerlichkeit“. Um was genau handelt es sich bei diesem Phänomen – und in welchem Zusammenhang steht es mit Prekarisierung, Hartz IV etc.?


Sebastian Thieme
Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer hat den Begriff „rohe Bürgerlichkeit“ verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass sich unsere Gesellschaft zunehmend entsolidarisiert. Vor allem die „Eliten“ meinen, sie würden bereits viel zu viel für die Gesellschaft tun, der Staat behandle sie ungerechtund dieSchwachen sollten sich gefälligst selber helfen. 

Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass sich auch die unteren Gesellschaftsgruppen untereinander mehr und mehr entsolidarisieren. Die von Ihnen erwähnten Hartz-Reformen lassen sich dabei als Instrument einer institutionalisierten Entsolidarisierung bezeichnen. Der Staat bzw. die Gesellschaft konfrontieren die Bedürftigenständig mit dem Vorwurf des Sozialmissbrauchs und stellen die Solidarität unter den umfassenden Vorbehalt einer „Unbedenklichkeitsprüfung“. Dazu gehört die obligatorische Prüfung der Bedürftigkeit, die von vielen Betroffenen in ihrer Praxis bereits als entwürdigend empfunden wird. Aber auch die Vorladungen in Jobcenter, die Residenz-, Ab- und Rückmeldepflichten sowie die sogenannten Einstellungsvereinbarungen zählen dazu. Diese Auflagen selbst sind bereits entsolidarisierend, d. h. die Solidarität steht unter dem Vorbehalt der Einhaltung dieser Auflagen. In Ihnen zeigt sich das eben beschriebene Misstrauen gegenüber den Bedürftigen. Letztlich sollen diese Maßnahmen allesamt disziplinierend bzw. erzieherisch wirken. Das wiederum geht offenbar mit einer Haltung einher, wonach „Bedürftige“ oft gar keine Hilfe benötigen, sich selbst helfen könnten – ihnen damit aber ebenso oft unterstellt wird, sich lieber helfen lassen zu wollen, weil das bequemer ist – und schlussendlich gar nicht so viel Solidarität nötig wäre.

Aber auch der Umstand, dass derartige „Reformen“ überhaupt möglich waren, zeugt bereits von einem Klima der Entsolidarisierung. Hinzu tritt, dass die Notwendigkeit solcher „Reformen“ mit negativen Menschenbildern begründet wurde und bis heute noch wird. Denken Sie nur an solche Aussprüche wie „Nur wer arbeitet, soll auch essen“. Oder an Ex-Kanzler Schröder, der damals im Bundestag meinte, dass in Deutschland kein Platz für Faulheit sei. Sein damaliger Superminister Clemens malte dann überdeutlich das Gespenst des Sozialmissbrauchs an die Wand und setzte dem Ganzen noch die Krone auf, indem er die Bezieher von Sozialtransfers mit „Parasiten“ verglich. Wortwörtlich hieß es auf Seite 10 des damaligen Reports des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ‚Abzocke‘ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ [PDF - 183 KB]:
„Biologen verwenden für ‚Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben‘, übereinstimmend die Bezeichnung ‚Parasiten‘. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.“
Denken Sie auch an das überaus populäre Bild von Beziehern von Sozialtransfers, die – im Jargon von Oswald Metzger – das Geld lieber in Alkoholika und Kohlehydrateinvestieren würden als bspw. für die Bildung ihrer Kinder. Solche zynischen Sprüche charakterisieren den Wirkungsbereich der „rohen Bürgerlichkeit“.Letztlich geht es um Stigmatisierung, Abwertung und Menschenfeindlichkeit – und zwar, zumindest in diesen Beispielen, „von oben herab“, d. h. dass gut situierte Personen der Öffentlichkeit stigmatisierten und abwerteten.

Die prekären Lebensbedingungen im Niedriglohnbereich und in der Zeitarbeit spielen jedoch ebenso eine Rolle. Nur werden dort die Bedürftigen eben gegeneinander ausgespielt. Niedriglöhner werfen dann z. B. den Beziehern des Arbeitslosengeldes II Faulheit vor usw. usf. Innerhalb von Unternehmen wirkt zudem zunehmend die Spaltung zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitern: Die „Privilegien“ der unbefristeten Normalarbeit werden dann – anstatt sich etwa für gute und sichere Arbeitsbedingungen für alle einzusetzen – gegen die „Fremden“ verteidigt, indem diese abgewertet und ausgegrenzt werden. Die prekäre Situation scheint die Betroffenen so sehr mit dem Rücken an die Wand zu stellen, dass sie für die prekäre Situation der anderen schließlich immer weniger empfänglich werden. Um sich vom Rand abzugrenzen wird nach Sündenböcken oder Gegnern gesucht. Dort, wo Solidarität geübt werden müsste, herrschen dann eher Misstrauen, Konkurrenz und Angst.

Einige aktuelle Forschungen lassen sogar einen allgemeinen Empathierückgang in unserer Gesellschaft vermuten. Diese Beobachtungen gehen dabei über das hinaus, was die soziologische Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ bereits in den 1930er Jahren ergab. Dass nämlich die sozio-psychologischen Wirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit nicht – wie vielfach angenommen – zu Revolte, sondern vielmehr zu passiver Resignation führen.

Verstehe ich das richtig: Umso mehr sich Armut und Unsicherheit ausbreiten, umso mehr neigen die Menschen zu Entsolidarisierung und Ausgrenzung, rationalisieren diese Haltung dann aber, um ihr eigenes Verhalten als „anständig“ verstehen und bewerten zu können?

„Anständig“ trifft es nicht ganz. Mit „vernünftig“ oder „ökonomisch vernünftig“ scheint mir das besser umschrieben zu sein. Und ja, eine Tendenz zur Entsolidarisierung, Ausgrenzung und zur rational-ökonomischen Denkhaltung in den unteren Etagen der Gesellschaft legen entsprechende Studien nahe.

Zeitgleich zu einer Bündelung des Reichtums in immer weniger privaten Händen und einer Zunahme gesellschaftlicher Armut ist also zu konstatieren, dass die Not der Ärmeren zunimmt, diese aber in aller Regel auf die „Erklärungsmuster von oben“, die ihnen ihren Nächsten als Konkurrenten und Gefahr andienen, hören und überdies aufgrund der Zunahme von Stress und Angst im eigenen Leben auch immer weniger, lassen Sie es mich so sagen, „Ressourcen zur Empathie für andere“ aufzubringen vermögen?

So in etwa, ja. Der Stress und die Angst, die Sie ansprechen, beide sind Elemente der Konkurrenz, der Rivalität mit den Mitmenschen. Je stärker der Wettbewerb, desto stärker der Stress und die Ängste.
Unter diesem Wettbewerbsdruck ist für Empathie kein Platz mehr. Wir könnten auch sagen: Unter Wettbewerbsbedingungen, in der jeder Mensch mit seinen Mitmenschen konkurriert, wird Empathie „wertlos“ oder „sinnlos“. Ressourcen werden dann nicht für Empathie aufgebracht, sondern dafür, in diesem Wettbewerb zu „überleben“. Damit haben die Betroffenen ohnehin genug zu tun. Das mag im ersten Moment etwas pathetisch klingen, aber denken Sie einfach an jene prekär Beschäftigten, die am Rande ihrer physischen und psychischen Existenz agieren. Außerdem steigt die allgemeine Armutsbedrohung der Menschen laut Statistischem Bundesamt seit Jahren an: 2005 waren 12,2 Prozent der Bevölkerung von Armut gefährdet; 2011 waren es bereits 16,1 Prozent, das heißt jeder sechste Bürger im Land. Den Betroffenen bleibt da sicher nicht viel Muße, um sich um andere zu kümmern. Wer mag ihnen das in dieser Situation vorwerfen?

Ich möchte Ihnen gleich ein paar Fragen zur ökonomischen Theorie stellen. Lassen Sie mich aber vorher noch auf einen Sachverhalt kommen, dessen Klärung für die Diskussion hilfreich sein kann: Sie sprechen in Ihrem Buch und ihren Beiträgen von ökonomischen Theorien. Doch in der Debatte um die Wirtschaftswissenschaften wird häufig von der ökonomischen Theorie gesprochen, ganz so, als ob es nur eine Theorie gäbe. Könnten Sie das kurz erklären?

Das liegt an der begrifflichen Unschärfe. Wenn „die“ ökonomische Theorie kritisiert wird, dann lässt sich das in aller Regel als die Kritik an der vorherrschenden ökonomischen Lehre bzw. am ökonomischen „Mainstream“ übersetzen. Dies umfasst nicht eine einzige Theorie, sondern steht allgemein für Ansätze, Ideen und wissenschaftliche Verfahren, die durch Lehrstühle vertreten und fester Bestandteil der Lehrbücher sind, die in Fachzeitschriften diskutiert werden und die sich auch der Förderung durch Stiftungen bzw. der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) erfreuen können. Alle ökonomische Wissenschaft abseits dieser „vorherrschenden Lehre“ wird in der Diskussion als „heterodox“, „post-autistisch“, „alternativ“ oder „kritisch“ bezeichnet.
Die Wirtschaftswissenschaften sind also insgesamt nicht einheitlich, sondern werden für gewöhnlich in sogenannte „Schulen“ unterschieden, die wiederum ganz eigene Theorien bzw. Ansätze vertreten. Beispielhaft seien Marx und Keynes genannt, mit denen die breitere Öffentlichkeit vielleicht noch etwas anfangen kann. Neo-Ricardianer, Evolutionsökonomen, Alt-Institutionalisten, Wirtschaftsstilforschung usw. sind sicher viel weniger bekannt, stellen aber ebenfalls „Schulen“ dar.
Allerdings ist auch zu beachten, dass selbst diese „Schulen“ selbst nicht einheitlich auftreten müssen. Friedrun Quaas von der Universität Leipzig hat das kürzlich sehr anschaulich für die „erste Generation“ der Österreichischen Schule gezeigt.

Trotz Ihres letzten Einwandes scheint die Unterscheidung nach ökonomischen Schulen durchaus populär. Wie sieht es mit der „Neoklassik“ aus? Der ökonomische Mainstream wird doch häufig als „neoklassisch“ bezeichnet, oder nicht?

Das stimmt. Viele Kritikerinnen und Kritiker des Mainstreams behaupten, diese vorherrschende Lehre wäre „neoklassisch“. Doch aus der ideengeschichtlichen Perspektive ist der Begriff „Neoklassik“ für eine Strömung reserviert, die am Ende des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts existierte.
Sicherlich hat sie die Wirtschaftswissenschaften insgesamt geprägt. Die heute oftmals kritisierte Mathematisierung der Ökonomik wurde maßgeblich von dieser Strömung vorangetrieben. Außerdem zählen neoklassische Modelle noch immer zum Standard der ökonomischen Lehrbücher. Auch die Politik greift gerne auf die Modelle zurück. Wenn es z. B. um die Ablehnung eines Mindestlohnes oder der Erhöhung von Sozialtransfers geht, dann steht dort das neoklassische Modell des Arbeitsmarktangebotes Pate.
Aber seit dem beginnenden 20. Jahrhundert hat sich in der Ökonomik viel getan. Nehmen Sie z. B. die neoklassische Annahme vollständiger Informationen. Die heutigen Ansätze gehen in aller Regel von unvollständigen und ungleich verteilten Informationen aus. Und dort, wo einstmals vollständige Rationalität unterstellt wurde, wird heute mit „bedingter“ Rationalität gearbeitet. Selbst Kritikerinnen und Kritiker des ökonomischen Mainstreams kommen deshalb nicht umhin, neben der Neoklassik noch andere Strömungen aufzuzählen, die zum Mainstream gehören sollen, z. B. die Neue Institutionenökonomik oder die Verhaltensökonomik. Von der vermeintlichen Dominanz der „Neoklassik“ bleibt dann aber nicht mehr viel übrig.

Was ist dann aber der „Mainstream“ oder „vorherrschende Lehre“?

Das ist eine gute Frage, über die meine Linzer Kollegin Katrin Hirte und ich uns innerhalb eines Projektes [PDF - 735 KB], das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird, auch den Kopf zerbrochen haben. Ich selbst tendiere dazu, unter „Mainstream“ ein Sammelsurium von sich zum Teil sogar widersprechenden Theorien, Ansätzen, Forschungsthemen und wissenschaftlichen Verfahren zu verstehen, die in der universitären Lehre vertreten, bevorzugt gefördert und publiziert werden. In der Summe geht es also nicht um „die eine“ Theorie oder „den einen“ Ansatz, sondern um einen ganzen Strauß an Ideen, die nach außen hin auch häufig den Anschein einer recht vielfältigen Ökonomik erwecken. Diese Scheinvielfalt zu erörtern würde hier aber den Raum sprengen. Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Gemeinsam ist diesen Strömungen, dass sie deduktiv vorgehen, sich auf mathematisch-formale Verfahren und Modellierungen konzentrieren, den sogenannten „methodologischen Individualismus“ zugrunde legen (d. h. ökonomische Vorgänge nur vom Handeln der Einzelnen aus betrachten bzw. auf den Einzelnen „rückrechnen“) und einen gewissen Dogmatismus an den Tag legen.

In Ihrem soeben erschienenen Buch gehen Sie auch der Frage nach, inwiefern die (vorherrschende) Ökonomik ganz grundlegend auf einem negativen Menschenbild fußt und somit Gesellschaft mehr oder minder auch nur als Summe sich bekämpfender Individuen zuerst einmal zu denken und dann aufgrund eben dieser theoretischen Prämissen auch ebenso zu gestalten vermag. Was haben Sie untersucht und zu welchen Schlüssen kamen Sie dabei?

Zunächst, das von Ihnen angesprochene Menschenbild ist eines der Elemente innerhalb ökonomischer Theorien, das gegen die menschliche Integrität, Würde und Gleichwertigkeit verstößt. In dem Zusammenhang spreche ich auch von ökonomischer Menschenfeindlichkeit bzw. Misanthropie.
Jedenfalls lässt sich unter Wirtschaftswissenschaftlern/innen immer wieder eine persönliche Haltung beobachten, die das von Ihnen angesprochene negative Menschenbild durchblicken lässt. So wurden Bettler und ärmere Schichten praktisch seit jeher als unproduktiver Ballast der Gesellschaft betrachtet respektive konstruiert.
Die Einstellungen „älterer“ Ökonomen wie etwa Joseph Townsend oder Robert Malthus sind dabei gar nicht weit von jenen Haltungen entfernt, mit denen sich heutzutage Wissenschaftler wie Gunnar Heinsohn oder Thilo Sarrazin in den Medien präsentieren.
Worauf ich deshalb mit den Beispielen in meinem Buch hinweisen wollte, war, dass es genügend Anlass dazu gibt und es notwendig ist, der Frage nachzugehen, inwiefern sich solche Haltungen und Stereotype auch in ökonomischen Theorien niederschlagen. Diese Frage war im Buch zwar nicht abschließend zu klären, aber viele Beispiele deuten darauf hin, dass die Aussagen von Ökonomen weit weniger „wert
frei“ oder „neutral“ sind, als sie das von ihrer Wissenschaft in der Regel behaupten. Aber wie gesagt, das muss noch eingehender untersucht werden.

Das negative Menschenbild ist nur ein Aspekt von dem, was Sie in Ihrem Buch als ökonomische Menschenfeindlichkeit bzw. Misanthropie bezeichnen. Welche anderen Elemente stellen – wie Sie schreiben – die Würde, Integrität und Gleichwertigkeit von Menschen infrage?

Nehmen Sie z. B. die Idee des Wettbewerbs. Dieser produziert immer Gewinner und Verlierer. Dadurch entstehen aber immer auch Unglei
chheiten, die auch noch bewertet werden. Anders formuliert: Wettbewerb produziert Ungleichwertigkeiten. Denn die „Sieger“ oder „Gewinner“ sind „mehr wert“, „erfolgreicher“, „produktiver“ usw. als jene, die den Wettbewerb verloren haben. Über diese Ungleichwertigkeiten wird in der Ökonomik aber kaum nachgedacht. Dabei zielt das auf ganz zentrale wirtschaftsethische Fragen ab: Wie viel Wettbewerb wollen wir uns zumuten? Wo wollen wir Wettbewerb zulassen? Wo ist er unzumutbar?
Ein anderes Beispiel ist die Prinzipal-Agenten-Theorie, die ungleich verteilte Informationen unterstellt und davon ausgeht, dass Menschen ständig ihre Mitmenschen übers Ohr hauen. Damit zwingt diese Theorie den menschlichen Beziehungen ein „rationales“ Misstrauen auf. Das finden Sie dann z. B. im Hartz-IV-Regime umgesetzt, wo faktisch ein chronisches Misstrauen gegenüber den Bedürftigen besteht. Am Beispiel Hartz-IV zeigt sich vor allem, wie durch dieses institutionalisierte Misstrauen die Menschenwürde und Integrität der Betroffenen (ihre Selbstbestimmung) immer wieder in Zweifel gezogen wird.
Fragwürdig ist ebenso das Modell des neoklassischen Arbeitsmarktangebotes, das den Erwerbslosen unterstellt, freiwillig in die Erwerbslosigkeit zu gehen und es sich in der sozialen Hängematte bequem zu machen. Die „Wirtschaftsweisen“ verwendeten noch 2010 dieses einfachste Modell, um gegen eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zu argumentieren. Zu bedenken ist dabei, dass diese Regelsätze das soziokulturelle Existenzminimum abdecken sollen und eine Erhöhung praktisch diesem Ziel dienen soll – eine Erhöhung der Regelsätze dient dazu, die Sozialtransfers an höhere Preise usw. (z. B. durch Inflation) anzupassen und dadurch das soziokulturelle Existenzminimum an die Entwicklung anzupassen. Bei den erwähnten Vorschlägen der „Wirtschaftsweisen“ ging es aber vor allem um die ökonomische Anreizwirkung der Regelsätze. Die Regelsatzhöhe wurde unter den Blickwinkel der ökonomischen Anreizwirkung gestellt und diente offenbar nicht mehr der Gewährleistung des Existenzminimums, also der Achtung der Menschenwürde.
Es lassen sich also eine Reihe von Hinweisen zusammentragen, die belegen, dass die derzeit vorherrschende Ökonomik auf recht grundlegende Art und Weise menschenfeindliche Züge trägt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die in der Ökonomik verwendeten abstrakten mathematischen Gleichungen, die Graphen oder die Spieltheorie auch noch dafür sorgen können, dass derlei negative Effekte aus dem Blick geraten können.

In Ihrem Buch widmen Sie aber auch ein Kapitel dem Thema „Ökonomik und Ethik“, wo Sie deutlich aufzeigen, dass beides – Ökonomik und Ethik – kein Widerspruch sein muss und in der Ökonomik auch Ansätze existieren, wie sich diese Elemente der Menschenfeindlichkeit auffangen oder eingrenzen ließen. Können Sie kurz erläutern, an welche Sie da im Speziellen denken?

In erster Linie an Adam Smith, der in seiner „Theory of Moral Sentiments“ das Gefühl der „Sympathie“ beschrieb, also mit dem Mitmenschen „mitfühlen“ zu können. Das ist in etwa auch das, was die breitere Öffentlichkeit vom Kategorischen Imperativ Immanuel Kants her kennt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Stellen Sie sich also mal vor, wie Empfehlungen von Ökonomen zum Sozialstaat oder zum Arbeitsmarkt ausfallen würden, wenn sie sich in redlicher Weise tatsächlich darum bemühen, nur Empfehlungen zu geben, die sie auch gegen sich selbst gelten lassen würden.
Ähnliche Aspekte finden sich bei Johann Heinrich von Thünens Lohnfrage am Rande seines „isolierten Staates“ von 1850. Dort standen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe gegenüber und verhandelten den Arbeitslohn mit Blick auf die Bedürfnisse der Arbeitskräfte und in freier Selbstbestimmung.
Einen neueren Ansatz bietet die Integrative Wirtschaftsethik nach Peter Ulrich. Auch dort wird gefordert, anderen nur solche Regeln, Gesetze etc. zu empfehlen, die jemand auch bezogen auf sich selbst als zumutbar empfindet. Zu beachten ist außerdem, dass das eigene Handeln bzw. das empfohlene Handeln von Dritten als unzumutbar empfunden werden kann. Letztlich wird auch ein zumutbares Maß an Mitverantwortung für Effekte gefordert, die nicht beabsichtigt waren, aber andere beeinträchtigen – das spielt vor allem mit Blick auf Dinge wie Umweltverschmutzung eine wichtige Rolle. Auch mit diesem Ansatz ließe es sich vermeiden, dass die Gleichwertigkeit, Integrität und Würde der Mitmenschen verletzt wird.

Lässt sich vor diesem Hintergrund nicht auch eine ethische Verantwortung seitens der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einfordern?

Richtig, genau das ist der Punkt. Die etablierten Ökonominnen und Ökonomen von heute müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die wirtschaftsethischen Aspekte von Theorien häufig gar nicht erst thematisieren.
Ich spreche diesbezüglich bewusst von den etablierten Vertreterinnen und Vertretern unserer Zunft, da ich diesen Vorwurf nicht so einfach an die Studierenden weiterreichen möchte. Denn woher sollen diese die wirtschaftsethischen Überlegungen von Adam Smith usw. oder gar die Integrative Wirtschaftsethik kennen, wenn so etwas nicht gelehrt wird? Woher soll die Sensibilität für wirtschaftsethische Fragen kommen, wenn die Lehrer selbst keinerlei derartige Sensibilität an den Tag legen oder – im Gegenteil – sich gegen ethischen Fragen dadurch immunisieren, dass sie angeblich eine „wertfreie“ Wirtschaftswissenschaft vermitteln?

Das klingt ähnlich dem, was der amerikanische Ökonomen Philip Mirowski am Anfang dieses Jahres mit Blick auf die ökonomische Theoriegeschichte äußerte: Die ökonomische Ideengeschichte wäre praktisch aus den Universitäten vertrieben worden. Wie sehen Sie das?

Genau so, denn es deckt sich auch mit meiner Beobachtung. Die Fachexpertise, um sich über ideengeschichtliche Themen auszutauschen, hält sich in sehr überschaubaren Grenzen. Es existieren nicht viele Lehrstühle, die ökonomische Ideen- oder Theoriegeschichte praktizieren. Und wenn junge Wissenschaftler/innen selbst einmal ideengeschichtlich forschen wollen, sind sie damit konfrontiert, dass behauptet wird, diese Forschung würde keinen Erkenntnisgewinn bringen. Im Grunde müssen sie sich sogar fast schon dafür rechtfertigen, wenn sie mal keine Formeln produzieren und stattdessen so dreist sind, das Textverständnis ihrer Kolleginnen und Kollegen „unnötig“ zu strapazieren.
Das wirkt sich dann natürlich negativ auf die Möglichkeiten aus, innerhalb der Universitäten auch die wirtschaftsethischen Aspekte der ökonomischen Theorien zu vermitteln. Denn es existieren in der Ökonomik ja tatsächlich Ansätze, die die negativen Effekte der Theorien zumindest eindämmen könnten. Die Ökonomik muss also gar nicht menschenfeindlich sein! Das ist mir besonders wichtig, da ich nicht dahingehend missverstanden werden möchte, einseitig auf die Ökonomik einschlagen zu wollen.
Jedenfalls wäre es in dem Kontext notwendig, die Fächer Wirtschaftsethik und ökonomische Ideengeschichte als Pflichtfächer im Studium zu etablieren und entsprechende Lehrstühle einzurichten. Leider sind wir davon aber weit entfernt.

Lassen Sie mich noch einmal auf das negative Menschenbild zurückkommen. Würden Sie so weit gehen und sagen, dass sich dieses negativ-ökonomische Menschenbild immer weiter ausbreitet und aktuell gesellschaftliche Bereiche durchdringt, die bisher frei davon gewesen sind? Oder anders: Hat sich die neoliberale Wettbewerbsideologie auch auf nicht-ökonomische Bereiche ausgedehnt? Und wenn ja, dann wie und wo?

Sie zielen mit Ihrer Frage auf die sogenannte Ökonomisierung unserer Gesellschaft ab. Ich würde das nicht allein am Menschenbild festmachen wollen. Denken Sie z. B. an die Ökonomisierung im Hochschulbereich: Da geht es vor allem um die Quantifizierung, Bewertung und Verwertung von „Qualität“ (z. B. der Forschung), um schnellere und vermeintlich „effizientere“ Studienabläufe. Hochschul- und Forschungsrankings, Credit Points usw. sind die entsprechenden Schlagworte.

Aber ja, Sie finden das von Ihnen erwähnte negative Menschenbild in verschiedenen Bereichen des Alltags. Denken Sie z. B. an diese Modekette „Hollister“, die ihren Mitarbeitern so sehr misstraute, dass sie ihren Toilettengang kontrollieren wollte. Durchsetzen konnte sich das Unternehmen zum Glück nicht. Aber allein das Vorhaben zeigt, wie das Management über die eigenen Angestellten denkt.

Ähnliches lässt sich auch im Bereich des Sozialstaates beobachten. Nehmen Sie bspw. die Forderung, Sachleistungen statt Geld an Hilfsbedürftige zu verteilen. Dort schwingt ja immer das Vorurteil mit, die Bedürftigen könnten mit dem Geld nicht umgehen und würden es für sonstwas ausgeben. Eine wertschätzende Beziehung auf Augenhöhe sähe anders aus!
Neben diesem Menschenbild können wir auch nicht die Augen davor verschließen, dass der Mensch ganz allgemein zunehmend unter dem Druck steht, sich „am Markt“ zu verwerten. Er muss ständig mobil, flexibel und erreichbar sein. Er steht immer in der Gefahr, als Kostenfaktor „minimiert“ also abgewertet und entwertet zu werden. Rein ökonomisch wird außerdem häufig argumentiert, dass jede Bildungsausgabe eine „Investition“ ins eigene „Humankapital“ darstellt. Die Appelle, in die Bildung und die eigene Bildung zu investieren, sind ja wohlbekannt. 

Insofern befinden sich die Menschen von heute im Hamsterrad eines permanenten Optimierungsmodus und sie sind damit konfrontiert, immer häufiger ein ökonomisches Nutzenkalkül an den Tag zu legen. Aus Mangel an Alternativen ist dies mehr oder minder zugleich eine Überlebensnotwendigkeit.
Dieses Nützlichkeitsdenken unterminiert aber gleichzeitig unsere sozialen und ethischen Werte, da es diese Werte unter den Vorbehalt der ökonomischen Nützlichkeit stellt. Galt die Menschenwürde einstmals als unbedingtes Grundrecht, so droht sie, nur doch dort gewährt zu werden, wo sie „nützt“. Damit sind jene Werte, die als unbedingt gelten sollen, nicht mehr unbedingt, d. h. sie stehen nur noch einem Teil der Menschen zu – nämlich jenen, die wir als „nützlich“ empfinden. Analog dazu wird also Solidarität zunehmend nur noch dort praktiziert, wo es uns ökonomisch nützt bzw. wo sie sich „verwerten“ lässt.

Damit sind wir wieder am Anfang Ihrer Fragen. Meine These ist, dass in dem Maße, wie wir die Ökonomisierung unserer Lebensbereiche zulassen, sich dieses rational-kühle Menschenbild immer weiter ausbreitet und möglicherweise zunehmend an die Stelle anderer wichtiger gesellschaftlicher und humaner Werte tritt. Das bedeutet aber auch: Wir befinden uns in der Gefahr, immer weniger wie Menschen miteinander umzugehen.

Kann man darin eine Rückkehr des Sozialdarwinismus sehen? Oder lassen Sie es mich anders formulieren: Wird damit letztlich nicht das Recht der Stärkeren forciert?

Ja, hinter der eben erwähnten Entwicklung steht spürbar die Idee des natürlichen Daseinskampfs, in dem nur die Stärksten überleben. In gewisser Weise ist das aber auch ein banaler Zusammenhang: Mehr Wettbewerb bedeutet eben mehr Konkurrenz, mehr Auslese und stellt damit eine Rechtfertigung für das Recht der Stärkeren dar.
Ob es sich bei dieser Tendenz um eine Rückkehr handelt, das bezweifle ich jedoch. Denn das würde voraussetzen, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, in der dieses Verständnis von „Sozialdarwinismus“ nicht galt. Genau das glaube ich ehrlich gesagt nicht.

Aber Sie haben Recht, es lässt sich beobachten, dass trotz der Finanzkrisen der letzten Jahre das Gerede vom „Wettbewerb“ und der „Wettbewerbsfähigkeit“ die Oberhand gewonnen hat. Das impliziert das von Ihnen erwähnte „Recht der Stärkeren“. Die Frage, ob wir uns z. B. in Europa überhaupt den Stress einer Konkurrenz zwischen den nationalen „Standorten“ antun wollen, wie viel Konkurrenz wir als zuträglich und zumutbar erachten, auch mit Hinblick auf die Selbsterhaltungsfähigkeit anderer Euro-Länder, diese Probleme scheinen mir momentan hinter die Wettbewerbsphrasen zu treten. Fast unbemerkt wird damit auch die Frage nach einer Europäischen Solidarität oder – anders ausgedrückt – nach Europäischen Sozialstandards in den Hintergrund gedrängt. 

Sehen Sie einen Ansatz, diesen Prozess rückgängig zu machen?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Sicherlich wäre dazu ein Mix an verschiedenen Maßnahmen notwendig, allen voran natürlich mit Blick auf die Bildung und Erziehung.
So könnte ein wichtiger Beitrag bereits darin bestehen, die ökonomische Lehre zu verändern. Lehrstühle für Wirtschaftsethik und ökonomische Theoriegeschichte zu etablieren, die sich vielleicht auch verstärkt interdisziplinär betätigen, das wäre z.B. eine Möglichkeit.
Wenn Sie mich nach konkreten Ansätzen innerhalb der ökonomischen Theorie fragen, dann wäre schon viel geholfen, wenn etablierte Ökonominnen und Ökonomen die erwähnte „Sympathy“ von Adam Smith oder die „Soziale Irenik“ – also die friedensstiftende Funktion etwa im Sinne von Alfred Müller-Armack – im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft beherzigen würden, bevor sie sich wieder zu Themen wie Arbeitslosengeld II, Sparmaßnahmen im Sozialstaat usw. äußern.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Dr. rer. pol. Sebastian Thieme, Jahrgang 1978, ist Volkswirt und derzeit Mitarbeiter am Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien an der Universität Hamburg. Er forscht zu Heterodoxie und Orthodoxie, Ökonomischer Misanthropie, Subsistenz(-ethik), Wirtschaftsethik, Wirtschaftsstilforschung und Ökonomischer Ideengeschichte.
Das Interview führte Jens Wernicke.

Quelle: NachDenkseiten.de