Freitag, 27. September 2013

Denk ich an Deutschland in der Nacht ...

von Thomas de Torquemada

Thomas de Torquemada
Die Wahl ist vorüber, der Souverän, das Volk hat gesprochen. Die Schwarzen haben fast eine absolute Mehrheit errungen, die Roten in ihren Schattierungen mit den Grünen zusammen eine Mehrheit - theoretisch. Und nun wird spekuliert, gewälzt, gefeilscht, gehandelt, wer mit wem weshalb und warum. Minderheitsregierung? Doch Rot mit Rot und Grün dazu? Ach was, lassen wir das beiseite. Wir wissen doch schon, was herauskommen wird. Eine große Koalition. Das ist des Wählers Wille. Und es ist das was er verdient. Hier und da wird zwar geunkt, mit einer solchen Großen Koalition werde eine Opposition in die Rechtlosigkeit degradiert. Ihr fehlten alle parlamentarischen Mittel, eine anderslautende Meinung nicht nur zu artikulieren, sondern sich auch rechtlich Gehör zu verschaffen, sei es hinsichtlich der erforderlichen Mehrheiten für Untersuchungsausschüsse, Verfassungsklagen und was sonst noch die Gesetzbücher an verfassungsmäßigen, parlamentarischen Rechten hergeben. Und so rufen einige vereinzelte Stimmen in plötzlicher Überraschung, das sei ja dann nicht mehr "ihre Demokratie".

Das ist sie schon lange nicht mehr. Und es ist langsam zu spät, daß es den Leuten auffällt. Kohl hat das Fundament gelegt, Merkel die Zelle gebaut - viel wichtiger aber ist, daß der Großteil der Menschen freiwillig hineingelaufen ist. Denn in der Zelle ist es so schön sicher, warm und bequem. Jedem das, was er verdient.

Es ist vorbei. Schon längst. Das ist das Ergebnis einer jahrelangen Erziehung hin zur effektiven Konsensgesellschaft. Nur in einem schmalen Band, in welchem man Äußerungen als politisch korrekt bezeichnet, ist Meinungsäußerung noch frei, jenseits der Grenzen dieses Bandes setzt bei der Mehrheit bereits die Selbstzensur ein bzw. der Reflex, die Minderheit Andersdenkender als Radikale, Spinner etc. unter Feme zu stellen. Der status quo darf nicht in Frage gestellt werden. Wer es dennoch tut, ist das, was ein Ketzer im Mittelalter war. Es fragt sich nur, wann man wieder beginnt, die Ketzer zu verbrennen.

Und diese Gesellschaft der effektiven Bewahrer des eigenen Lebensstandarts, die sich moralinsauer auf die Schulter klopfen, wenn sie Ökostrom beziehen und Biogemüse kaufen, es aber keineswegs paradox finden, ein SUV zu fahren (läuft doch mit Biosprit), diese ängstlich um ihr Zusammengerafftes bemühten, diese Hohepriester der Hoffnugn auf das Rentenalter, werden zusammengehalten von nichts anderem als der Angst, vor allem der Angst um Verlust - ihres Tands, ihrer Ansprüche, ihrer bequemen Lebensstellung in der Welt. Seit Metternich ist dies die reaktionärste Gesellschaft der deutschen Geschichte, mindestens so spießig, bieder und bigott wie die Gestalten des Wilhelminismus. Könige, ja Kaiser in Sachen Ignoranz und Arroganz. Mit dem Sendungsbewußtsein des Saturierten ausgestattet, der sein übersättigtes Gutmenschentum, seine bessere, moralischere Weltsicht über die ganze Welt kotzen will. Der deutsche Michel betet allerdings nicht mehr wie damals das Militär an und dessen Uniformen. Sein moderner Fetisch ist ein anderer Kampf, eine andere Schlacht: die Wirtschaft, der Export, der Markt, das Bruttosozialprodukt, der Handelsbilanzüberschuß - es werden keine pangermanischen Reiche mehr erobert, stattdessen um Weltmarktanteile gerungen; die Schlachtengötter tragen keine Helme und Uniforrmen mehr, die zeitgemäße Uniform ist heute der graue Anzug und die Statussymbole der Wirtschaftselite. Und keinem unserer ach so demokratischen politischen Köpfe fällt das Paradoxon auf, in einer als demokratisch beschworenen und von Chancengleichheit fabulierenden Gesellschaft penetrant nach Eliten zu verlangen, Eliten zu fördern, Eliten auszubilden, Eliteuniversitäten und -schulen auszurufen. 

Niemand symbolisierte als Destillat einer historisch-gesellschaftlichen Entwicklung seine Zeit so gut wie ein Kaiser Wilhelm, oder ein Franz Josef als ideenloser, bar jeden Charismas vor sich hinwurschtelnder Insolvenzverwalter Österreich-Ungarns. Und unsere Zeit und Gesellschaft wird durch niemand anderes besser vertreten und auf den Punkt gebracht als Angela Merkel: Das Fähnchen im Wind der Raserei nach phantasieloser Effektivität, die graue Eminenz eines Volkes der grauen Mäuse, deren Lebensideal das Sammeln gerichtet auf den Konsum und den Lebensabend ist, das sein Paradies auf Erden in einem gesicherten Lebensabend sieht - und deshalb sich weigert, etwas zu ändern, und ignoriert, daß alles fließt, und alles zerfließt wie Sand durch die Finger, wenn man krampfhaft bemüht ist, alles so zu behalten und zu bewahren, wie es ist. Deutschland hat an allen Ecken und Enden Museen für jede, noch so absurde Kleinigkeit - nicht zufällig, den Deutschland hat insgesamt trotz aller scheinbarer Dynamik etwa Museales. Es ist das Land der Bewahrer, es ist der Triumph des Stillstandes. Eine Gesellschaft erstarrt und versteinert sehenden Auges immer stärker, bis sie so hart und spröde und unflexibel geworden ist, daß die kleinste Erschütterung sie zerbrechen lassen wird. Merkel ist aus diesem Schoß gekrochen, sie ist die Ausgeburt dieses Stillstandes. Und langsam aber sicher begreife ich, verstehe ich, erfühle ich, was jenes Wort, das man eher anekdotisch in der Schulzeit hinnahm, für diesen Dichter, Menschen, Heinrich Heine bedeutete: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht".

Die Verfassung allerdings gibt nicht nur jenen, die wohl auch tatsächlich einen Großteil dieser Gesellschaft repräsentieren, zumindest bis zu dem Tage, da diese politische Ordnung ihr Versprechen auf wirtschaftliche Prosperität noch halbbwegs einlösen kann, ein parlamentarisches Recht als Organ dieser Verfassung - nein sie gibt jedem Teil des Souveräns, jedem Teil des Volkes, also Dir, Dir und Dir, ein Recht auf Widerstand. Und es wird Zeit darüber nachzudenken, dieses Recht in Anspruch zu nehmen.

Mit schwäbischem Gruß!

TdT

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