Mittwoch, 30. Oktober 2013

Weniger Arbeitslose, mehr Altersarmut – wie kommt’s?

Von Jörg Wellbrock alias Tom W. Wolf
 
Fast zeitgleich gingen durch die Medien zwei Meldungen: Die Arbeitslosenzahl sei so niedrig wie schon seit einem Jahr nicht mehr. Und die Altersarmut nehme stetig zu. Wäre es nicht naheliegend, einen Zusammenhang herzustellen?

Tom W. Wolf
So gut wie auf den ersten Blick ist die Nachricht gar nicht. Zwar waren im Oktober 2013 rund 48.000 Menschen weniger arbeitslos als im September. Aber auch 48.000 mehr als im Oktober 2012. Die offizielle Zahl lautet 2,801 Millionen Arbeitslose. Nimmt man noch die jahreszeitlich bedingten Schwankungen heraus, stieg die Zahl der Arbeitslosen sogar um 2.000 im Vergleich zum Vormonat.

Doch das ist sowieso nur Augenwischerei, denn die Definition des Begriffes „Arbeitsplatz“ wurde in Zeiten von Minijobs und prekärer Beschäftigung neu interpretiert. Arbeit, das ist ist ein Kampfbegriff der Politik geworden, der mit den Verhältnissen auf dem Markt nichts mehr zu tun hat. Die politischen Lager – so es sie in unterschiedlicher Ausprägung überhaupt noch gibt – streiten sich über Zahlen, aber nicht über Inhalte. Die Tatsache, dass es in Deutschland heute ein paar tausend weniger Arbeitslose gibt als im letzten Monat, ist nichts als ein helles, blendendes Licht, das uns den Blick auf die Wirklichkeit raubt. Die Debatte um den Mindestlohn zeigt das ebenso wie die Lage der Rentner in Deutschland. Selbst mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro wären Arbeitnehmer kaum in der Lage, ausreichend Mittel für ihr Rentenalter zu generieren. Wenn man dies bedenkt, ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass Arbeitgeber und ihnen zuarbeitende Ökonomen einen geringeren Mindestlohn als „Test“ fordern.



Panikmache mit dem Mindestlohn

 

Der „Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK)“ in Gestalt von Volkswirt Alexander Schumann macht deutlich, wie herablassend das Wort Arbeit inzwischen verwendet wird, ohne seinen eigentlichen Sinn zu berücksichtigen. Schumann rechnet im kommenden Jahr mit 250.000 neuen Jobs. Er begründet das mit der „guten Konjunktur“. Gleichzeitig warnt er vor einem Mindestlohn, und sei er nur 8,50 Euro hoch. Er spricht von einem „Unsicherheitsfaktor für Unternehmen“ und mahnt: „Kommt er, kann das die positive Entwicklung abwürgen.“

Der Zynismus dahinter müsste zur Folge haben, Schumann so schnell wie möglich vom Hof zu jagen, denn wenn er von einer positiven Entwicklung spricht, dann können damit de facto nur Jobs gemeint sein, die Arbeitnehmern weniger als 8,50 Euro die Stunde einbringen. Die Frage, für wen sich also die Entwicklung positiv gestaltet, ist rhetorisch.


Nach außen hin sind sich alle einig. Man muss von seiner Arbeit leben können. Tatsächlich ist die Politik aber darauf gar nicht ausgerichtet, und die Unternehmen sind es sowieso nicht. Die Zahl der Aufstocker nimmt weiter zu, viele Menschen müssen zwei, manchmal sogar drei Jobs machen, um sich über Wasser zu halten, und selbst dann reicht es nicht immer. Nirgends ist zu erkennen, dass Lösungsansätze gesucht werden, die die Fehlentwicklung des Arbeitsmarktes auch nur ansatzweise korrigieren könnten. Auch die Verhandlungen im Ringen um Posten zwischen der SPD und der CDU sind nichts anderes als ein Verwalten der derzeitigen Katastrophe, ohne sie anzugehen. Die SPD hat sich schon vor der Wahl zur Agenda 2010 bekannt, die maßgeblich für die derzeitige Misere verantwortlich ist. Die CDU hat die letzten Jahre umgesetzt, was sich Gerhard Schröder einst ausgedacht hat. Niemand derer, die da an den Verhandlungstischen sitzen, ist tatsächlich daran interessiert, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Ihnen geht es um sich selbst. Und um geschönte Arbeitslosenzahlen, hinter denen die Armut versteckt wird. Die Armut der heute arbeitenden Bevölkerung. Und die derer, die heute schon in Rente sind. Sie, die heutigen Rentner, sind der Beleg dafür, wohin die Entwicklung der letzten Jahre führt.


Immer mehr arme Rentner

 

Ein Blick an die Elbe – nach Hamburg, wo so viele Millionäre leben – macht deutlich, wohin die Reise geht. André Hatting, der Chef des Hamburger Landesverbandes im Sozialverband Deutschland, beobachtet schon seit 2005, dass die Zahl der Rentner, die zusätzliche Grundsicherung brauchen, kontinuierlich steigt. Zu einem vorerst traurigen Rekord kam es im Jahr 2012. Um 6,6 Prozent stieg der Anteil der Rentner, die auf zusätzliche Leistungen vom Staat angewiesen sind. Für Hatting sind die Gründe klar. Die meisten Menschen sind schon seit längerem nicht mehr in der Lage, während der Erwerbstätigkeit ausreichen finanzielle Mittel für das Alter anzusparen. Hinzu kommen Erwerbsminderungsrenten, Alleinstehende und Frauen, die besonders von Altersarmut betroffen sind. Hatting spricht sich für einen Mindestlohn und eines Mindestrente aus.

Doch der Trend geht weiter in Richtung Armut, und es ist viel schlimmer als es zunächst scheint, denn in keiner Statistik tauchen all jene Rentner auf, die zu stolz sind, um staatliche Hilfe zu beantragen oder die sich schlicht nicht trauen oder sich schämen. Die Dunkelziffer der Menschen im Alter, die arm sind und von der Hand im Mund leben müssen, dürfte also deutlich höher sein als die ohnehin schon erschreckenden Werte, die Hatting nennt. Er siedelt die Armutsgefährdungsquote in Deutschland zwischen 15,5 und 16 Prozent an. Bei den Rentnern über 65 Jahre liegt sie mit 14 Prozent knapp unter dem Bevölkerungsschnitt. Sieht man sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt an, muss man kein Prophet sein, um zu erahnen, wohin sich die Quote in Zukunft entwickeln wird. Für die alten Menschen bedeutet das, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, sich auf das Nötigste zu beschränken und Hilfe anzunehmen, wo sie sie erhalten. Doch die ist übersichtlich, und Hamburg zeigt auch hier, was für ein schlechtes Vorbild die Stadt ist. 


„Kalte Küche“ in Hamburg-Dulsberg

 

Die Sozialküche „Pottkieker im Hamburger Stadtteil Dulsberg hilft Rentnern, die in finanzieller Not sind. Mehr als 100 von ihnen nehmen das Hilfeangebot, einmal am Tag dort Mittag zu essen, gern an, nicht nur, weil sie wenig Geld haben, sondern auch, weil sie im „Pottkieker“ soziale Kontakte pflegen, andere Menschen treffen, sich austauschen und reden können. Wer im Alter kein Geld hat, steckt nicht nur finanziell in der Sackgasse. Oft vereinsamen arme Menschen auch. Deshalb ist der „Pottkieker“ zweifach wichtig. Doch die Stadt Hamburg setzt ihre Prioritäten offenbar woanders. Sie will den „Pottkieker“ schließen, weil es für die Weiterführung angeblich an Geld fehlt.
Der Wert von Arbeit? Oder der einer Lebensleistung? Beides sind nur hohle Phrasen, die im Wahlkampf oder beim politischen Kräftemessen verwendet werden, um sich als Partei oder Politiker gut zu positionieren. Der „Pottkieker“ zeigt exemplarisch auf, wohin wir uns entwickeln – in ein Land, das immer mehr arme Menschen hat und haben wird.


Hilfe? Die ist eher nicht zu erwarten.


Quelle: spiegelfechter

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